Die Zuständigkeit der Nachlassgerichte als auch die Frage, nach welchem Recht sich die Erbfolge richtet, hängt maßgeblich von dem „gewöhnlichen Aufenthalt“ des Erblassers ab. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem Beschluss vom 22. Juli 2024 (Az. 14 W 50/24) klargestellt, wie der „gewöhnliche Aufenthalt“ eines Erblassers nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) bestimmt wird. Gerade für Erbfälle mit Auslandsbezug ist dies eine wichtige Entscheidung.
Der Fall – Ein Überblick
Ein deutscher Erblasser, der an Demenz litt, wurde 2023 von seiner Ehefrau in ein Pflegeheim nach Polen gebracht. Dort verstarb er im Oktober desselben Jahres. Vor seiner Erkrankung lebte er ausschließlich in Deutschland, sein gesamtes Vermögen befand sich ebenfalls dort. Der Umzug nach Polen geschah aus finanziellen Gründen, nicht aus eigenem Wunsch des Erblassers. Er hatte keine Bindungen zu Polen und sprach auch die Sprache nicht.
Nach seinem Tod beantragte seine Ehefrau einen Erbschein in Deutschland. Das zuständige Amtsgericht sah den gewöhnlichen Aufenthalt jedoch in Polen und lehnte den Antrag ab. Die Ehefrau legte Beschwerde ein, worüber das OLG Karlsruhe entschied.
Was bedeutet „gewöhnlicher Aufenthalt“?
Laut der EuErbVO ist der „gewöhnliche Aufenthalt“ des Verstorbenen der Ort, an dem er zuletzt seinen Lebensmittelpunkt hatte. Das Gericht prüft dabei zwei Aspekte:
Objektive Kriterien: Wo hielt sich die Person tatsächlich auf? Hier zählt die körperliche Anwesenheit, unabhängig davon, wie lange oder rechtmäßig sie war.
Subjektive Kriterien: Hatte die Person den Wunsch (sogenannter „animus manendi“), ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft an diesen Ort zu verlegen?
Entscheidung des Gerichts
Das OLG Karlsruhe entschied, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in Deutschland hatte. Zwar lebte er zuletzt in einem polnischen Pflegeheim, doch:
- Der Umzug erfolgte gegen seinen Willen.
- Sein gesamtes Vermögen und seine sozialen Bindungen lagen in Deutschland.
- Es gab keine Anzeichen dafür, dass er Polen als neuen Lebensmittelpunkt wollte.
Damit war Deutschland für den Erbschein zuständig, nicht Polen.
Warum ist das wichtig?
Das Urteil zeigt, dass der gewöhnliche Aufenthalt nicht nur vom Aufenthaltsort abhängt. Der Wille der Person und die persönlichen Umstände spielen eine große Rolle – besonders bei pflegebedürftigen Menschen, die in ein anderes Land gebracht werden.
Der gewöhnliche Aufenthalt eines Erblassers wird immer individuell geprüft. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe sorgt dafür, dass der tatsächliche Lebensmittelpunkt und der Wille des Verstorbenen berücksichtigt werden – auch in grenzüberschreitenden Erbfällen.