Im Erbrecht gibt es viele Facetten, insbesondere wenn es um die Enterbung potenzieller Erben geht. Eine zentrale Frage ist, ob eine Person durch einen Überlassungsvertrag enterbt werden kann, selbst wenn dieser Vertrag nicht ausdrücklich als testamentarische Verfügung gekennzeichnet ist. Ein wegweisender Fall, der diese Frage beleuchtet, wurde am 31. August 2022 vom Oberlandesgericht Brandenburg entschieden (Az. 3 W 55/22).
Der Fall: Überlassungsvertrag und Enterbung
Im untersuchten Fall hatte eine verwitwete Frau im Jahr 1993 ein Grundstück mittels eines notariellen Überlassungsvertrags an einen ihrer Söhne verschenkt. Der Vertrag enthielt die Klausel, dass die Übertragung auf den Pflichtteil des begünstigten Sohnes angerechnet werden sollte. Gleichzeitig verzichteten die übrigen Kinder auf etwaige Pflichtteilsergänzungsansprüche in Bezug auf diese Übertragung. Nach dem Tod der Frau beantragte der begünstigte Sohn die Erteilung eines Erbscheins, der alle Kinder als Erben zu gleichen Teilen auswies. Die anderen Kinder wendeten sich dagegen und sahen in dem Überlassungsvertrag vielmehr eine stille Enterbung des begünstigten Sohnes.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg
Das Oberlandesgericht Brandenburg entschied, dass der Überlassungsvertrag als eine Form der Enterbung gemäß § 1938 BGB gewertet werden kann. Auch wenn der Vertrag nicht ausdrücklich als Testament bezeichnet ist, kann er eine Enterbung darstellen, wenn der Wille des Erblassers klar und eindeutig erkennbar ist. Die Klausel zur Anrechnung auf den Pflichtteil und der Verzicht auf Pflichtteilsergänzungsansprüche deuteten darauf hin, dass die Frau beabsichtigte, ihren Sohn nicht als Erben einzusetzen, sondern nur seinen Pflichtteil zu berücksichtigen.
Bedeutung für die Praxis
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg hat weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der Vermögensübertragung und Nachlassplanung. Er verdeutlicht, dass notariell beurkundete Überlassungsverträge, die im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge geschlossen werden, präzise formuliert werden müssen. Besonders die Anordnung zur Anrechnung auf den Pflichtteil kann tiefgreifende Konsequenzen für die Erbfolge haben und eine Enterbung implizieren.
Für Erblasser und Erben bedeutet dies, dass bei der Gestaltung von Überlassungsverträgen und testamentarischen Verfügungen besondere Sorgfalt erforderlich ist. Eine klare und eindeutige Formulierung der Anordnungen im Vertrag ist unerlässlich, um den tatsächlichen Willen des Erblassers festzuhalten und spätere Streitigkeiten zu vermeiden.